Auch wenn die Strahlentherapie als lokale Tumortherapie gilt, hat sie systemische Effekte. Bereits in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde beobachtet, dass die Strahlentherapie nicht nur den bestrahlten Tumor verkleinerte, sondern in Zuge dessen auch Fernmetastasen, die gar nicht im Bestrahlungsfeld lagen, schrumpfen ließ. Dieses Phänomen wird als abscopaler Effekt bezeichnet und lässt sich nur dadurch erklären, dass die Strahlentherapie eine immunologische Reaktion im Körper auslöst, die wahrscheinlich mit dem programmierten Zelltod (Apoptose) der bestrahlten Tumorzellen zusammenhängt. Mit dem Aufkommen der Checkpointinhibitoren in der letzten Dekade steht wiederum eine effektive immunmodulierende Krebstherapie zur Verfügung, die heute bereits beim Melanom, nichtkleinzelligen Lungenkrebs, bei Nierenzellkarzinomen und Plattenepithelkarzinomen zum Einsatz kommt. Doch nicht jeder Patient spricht auf die reine Immuntherapie an. Je nach Tumorentität sind dies lediglich 20 – 40% der Patienten. Die Überlegung, die Strahlentherapie und Checkpointinhibitoren kombiniert einzusetzen, um synergistisch die Immunantwort zu verstärken, lag daher nahe und wurde in mehreren Studien untersucht. Aktuelle Daten für diese Kombinationstherapie liegen u.a. zum nichtkleinzelligen Lungenkrebs vor und sind trotz formaler Limitationen sehr ermutigend. Zudem werden derzeit personaliserte Ansätze der Radioimmuntherapie bei Kopf-Hals-Tumoren getestet.
Daten mit „Strahlkraft“ zum nichtkleinzelligen Lungenkrebs: Radioimmuntherapie verdreifachte das progressionsfreie Überleben und verdoppelte die Ansprechrate
Präklinische Daten und erste Studien hatten bereits vielversprechende Ergebnisse gezeigt. 2019 wurden zwei Arbeiten publiziert, die eine enorme „Strahlkraft“ haben:
Bauml et al. [1] hatten in ihrer monozentrischen, einarmigen Phase-2-Studie die Wirksamkeit des PD-1-Inhibitors Pembrolizumab untersucht. 45 Patienten mit bis zu vier Metastasen erhielten zunächst eine lokal ablative Therapie. 4-12 Wochen nach Abschluss dieser Therapie erhielten sie dann Pembrolizumab (200 mg i.v. alle drei Wochen). Im Ergebnis zeigte sich ein medianes progressionsfreies Überleben von 19,1 Monaten bei diesen Patienten – ohne Lebensqualitätseinbußen und ohne relevant erhöhte Nebenwirkungsrate. „Wie die Studienautoren anführten, betrug das PFS in Studien, in denen vergleichbare Patienten lediglich eine alleinige lokal ablative Therapie erhalten hatten, 6,6 Monate. Das heißt, dass durch die Radioimmuntherapie das progressionsfreie Überleben fast verdreifacht wurde“, betonte Prof. Fietkau, Erlangen, Präsident der DEGRO. Allerdings wies er auch auf die Schwächen der Studien hin: Es handelte sich nicht um eine
randomisierte Vergleichsstudie – und außerdem zählte die operative Entfernung zu den lokal ablativen Therapien, auch wenn die Mehrheit der Patienten eine Radiotherapie oder Radiochemotherapie erhalten hatten. „Formal ist es daher nicht korrekt, die Ergebnisse auf die Radioimmuntherapie zu extrapolieren“, so der DEGRO-Präsident. Doch auch die randomisierte Phase-3-PACIFIC-Studie, die 2017 im New England Journal [2] publiziert wurde, kam zu einem ähnlichen Ergebnis: Die Patienten mit metastasiertem nichtkleinzelligen Lungenkrebs hatten nach einer Radiochemotherapie entweder Placebo oder den Checkpointinhibitor Durvalumab erhalten. Das mediane PFS betrug im Verumarm 16,8 Monate und in der Placebogruppe 5,6 Monate. Auch hier war also der Zeitraum, in der die Erkrankung nicht weiter voranschritt, fast dreimal so lang. Eine aktuelle Auswertung der PACIFIC-Kohorte [3] bestätigte auch einen Therapievorteil der Radioimmuntherapie im Hinblick auf das 3-Jahres-Gesamtüberleben.
In der Phase-3-Studie von Theelen et al. [4] wurde der Effekt von Pembrolizumab nach Bestrahlung aller Metastasen der Patienten mit nichtkleinzelligen Lungenkrebs untersucht. Die insgesamt 76 Patienten erhielten entweder die alleinige Therapie mit dem Checkpointinhibitor (Kontrollgruppe) oder eine Kombinationstherapie aus stereotaktischer Bestrahlung plus Pembrolizumab (Behandlungsgruppe). Das PFS betrug im Kontrollarm 1,9 Monate, im Behandlungsarm 6,6 – konnte also auch hier um den Faktor 3 verlängert werden (erreichte dennoch kein statistisches Signifikanzniveau) . Außerdem wurde eine Verdopplung des medianen Gesamtüberlebens erreicht (7,6 Monate vs. 15,9 Monte – hier konnte ebenfalls kein Signifikanzniveau erreicht werden). Der primäre Studienendpunkt war die allgemeine Ansprechrate – und auch der wurde verfehlt, obwohl die Ansprechrate im Prüfarm 36% und im Kontrollarm 18% betrug. „Leider wurde die statistische Signifikanz mit der Annahme einer Verbesserung von 20% auf 50% kalkuliert, daher fiel die Studie negativ aus. Dennoch werten wir das Ergebnis als sehr deutliches Signal“, so Fietkau. Auch gebe die Studie Aufschluss über eine mögliche Personalisierung der Radioimmuntherapie, denn es waren hauptsächlich die Patienten mit PD-L1-negativen Tumoren, die von der zusätzlichen Bestrahlung profitierten.
Personalisierte Radioimmuntherapie bei Kopf-Hals-Tumoren
2018 wurde in Erlangen die Check-Rad-CD8- Studie [5] zur Radioimmuntherapie bei Patienten mit lokal fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumoren gestartet. Zwei Besonderheiten: In dieser Studie werden zwei Checkpointinhibitoren mit der Strahlentherapie kombiniert, die unterschiedliche Signalwege blockieren. Außerdem werden die Patienten vor Randomisierung nach ihrem immunologischen Status selektiert. Dafür erhalten sie vorab eine Chemoimmuntherapie. Im Anschluss wird dann Tumorgewebe entnommen und feingeweblich untersucht. Nur Patienten, bei denen ein Anstieg von zelltoxischen T-Zellen nachweisbar ist, erhalten die Radioimmuntherapie, die anderen eine Radiochemotherapie. „Im Prinzip wird hier vorab geprüft, welche Patienten überhaupt auf die immunmodulierende Therapie ansprechen“, erklärte Prof. Fietkau. „Bei bisherigen Vergleichsstudien wurden auch immer Therapieversager eingeschlossen, man benötigte dann große Fallzahlen, um überhaupt ein Signifikanzniveau erreichen zu können. Ein solcher auf die Tumorbiologie personalisierter Ansatz ist ökonomisch und kann zu aussagekräftigeren Studienergebnissen führen.“
Abschließend erklärte Prof. Rainer Fietkau, Erlangen, Präsident der DEGRO, auf dem Deutschen Krebskongress: „Wir glauben, dass die personalisierte Radioimmuntherapie den zukünftigen Therapiestandard bei vielen Krebsindikationen in fortgeschrittenen Stadien darstellen kann.“
Literatur[1] Bauml JM, Mick R, Ciunci C, Aggarwal C, Davis C, Evans T, Deshpande C, Miller L, Patel P, Alley E, Knepley C, Mutale F, Cohen RB, Langer CJ. Pembrolizumab After Completion of Locally Ablative Therapy for Oligometastatic Non-Small Cell Lung Cancer: A Phase 2 Trial. JAMA Oncol. 2019 Jul 11. doi: 10.1001/jamaoncol.2019.1449.[2] Antonia SJ, Villegas A, Daniel D et al. Durvalumab after Chemoradiotherapy in Stage III Non-Small-Cell Lung Cancer. N Engl J Med. 2017 Nov 16;377(20):1919-1929. doi: 10.1056/NEJMoa1709937.[3] Gray JE, Villegas A, Daniel D et al. Three-Year Overall Survival with Durvalumab after Chemoradiotherapy in Stage III NSCLC-Update from PACIFIC. J Thorac Oncol. 2019 Oct 14. pii: S1556-0864(19)33529-4. doi: 10.1016/j.jtho.2019.10.002. [Epub ahead of print] [4] Theelen WSME, Peulen HMU, Lalezari F, van der Noort V, de Vries JF, Aerts JGJV, Dumoulin DW, Bahce I, Niemeijer AN, de Langen AJ, Monkhorst K, Baas P. Effect of Pembrolizumab After Stereotactic Body Radiotherapy vs Pembrolizumab Alone on Tumor Response in Patients With Advanced Non-Small Cell Lung Cancer: Results of the PEMBRO-RT Phase 2 Randomized Clinical Trial. JAMA Oncol. 2019 Jul 11. doi: 10.1001/jamaoncol.2019.1478[5] Check-Rad-CD8- Studie. Studiensynopse abrufbar unter: https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT03426657
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